Über Nummern

Wenn Du durch Prag wandelst, fällt Dir sicherlich bald auf, daß es an jedem Haus zwei Nummern gibt. Eine Nummer ist typischerweise blau, die andere rot. Was hat das zu bedeuten? Gewöhnlich reicht doch eine Nummer um ein Haus zweifelsfrei in einer Straße zu identifizieren. Wenn Du dann weitergehst und die Nummernfolge betrachtest, fällt Dir dann noch auf, daß die roten Nummern in keiner erkennbaren Ordnung sind. Mal gibt es vielleicht eine Reihe von aufsteigenden Zahlen, dann aber wieder niedrigere oder höhere, scheinbar wahllos zusammengewürfelt. Die blauen allerdings sind streng geordnet. Auf der einen Straßenseite die geraden auf der anderen die ungeraden. Dies wird das Zickzack-System genannt und hat nicht nur den Vorteil, daß die Nummern schön beieinander bleiben, sondern daß sich die Straße auch beliebig verlängern läßt. Dieses System haben die meisten europäischen Städte im 19. Jahrhundert eingeführt. In Berlin aber lebt in vielen Straßen noch das preußische Hufeisensystem fort. Dort fängt die Nummerierung an einer Straßenseite an und folgt dann dem Straßenverlauf inkrementell bis zum Ende, um dann in Richtung Innenstadt wieder an der anderen Straßenseite zurückzukehren. In Wien heißt das Zickzack-System auch Winklersches System, da es dort im Jahre 1862 durch Herrn Winkler eingeführt wurde. Praktischerweise (jedenfalls für ihn) war Herr Winkler gleichzeitig Fabrikant für Schilder aller Art.

Unser Haus in Prag mit der Ordnungsnummer 9 ist so ungefähr das 800ste was im Viertel gebaut wurde und zwar in den 30er Jahren.

Die ältere Variante der Hausidentifizierung sind jedoch die Konskriptionsnummern. Früher hatten Häuser gar keine Nummern. In einigen Gegenden hatten Häuser charakteristische Zeichen oder kleine Wappen, um die Zugehörigkeit zu einem Gewerbe oder auch einer Sippschaft zu verdeutlichen. Besonders natürlich hatten Gaststätten markante Zeichen, damit sie auch gefunden werden konnten. Die meisten Menschen in Europa konnten früher ja nicht lesen. In Prag sind solche Zeichen ab dem 12. Jahrhundert nachgewiesen. Sie schmückten nicht nur die Eingänge ihrer Häuser sondern boten in dem Gassengewirr des damaligen Prag auch Orientierung. Als die Stadt dann weiter wuchs erwies sich diese Tradition als wenig praktikabel. Außerdem verlor auch die Obrigkeit langsam den Überblick. Wie viele Häuser gibt es in der Stadt, wer wohnt wo und vor allem wer zahlt welche Steuern? Die Kaiserin Maria Theresia hatte deswegen der Stadt Wien im Jahre 1770 das System der Konskriptionsnummern verordnet. Diese Nummern werden aufsteigend nach Baujahr des Gebäudes vergeben, da die Ratsschreiber die Häuser so schön geordnet in dicken Büchern nacheinander eintragen konnten und somit immer den Überblick behielten. Und damit haben wir auch das Geheimnis über die roten Hausnummern in Prag gelüftet. Damals fühlte sich das Haus Habsburg ja für alle möglichen Länder, unter anderem auch für Tschechien, verantwortlich. Und so gelangten die Konskriptionsummern hierher. Anfangs dienten diese dann auch der Orientierung aber in einer wachsenden Stadt, wo an vielen Stellen gebaut und umgebaut wird, war diese Nummerierungsordnung bald hinderlich, um ein bestimmtes Gebäude zu finden.

In manchen Dörfern in Tschechien gibt es bis zum heutigen Tag allerdings keine Orientierungsnummern und außerdem auch keine Straßennahmen. Bei einer begrenzten Anzahl an Häusern ist dies auch zuträglich. In Prag wiederum hat jedes Viertel seinen eigenen Nummernkreis. Wir wohnen beispielsweise im Viertel Střešovice (gesprochen ungefähr Stschreschovice) und Střešovice wiederum ist eine Katastralgemeinde in Prag 6, einem Bezirk der Stadt. Prag selbst besteht aus 22 solcher Bezirken. Alles klar? Wenn nicht, einfach weiterlesen. Davon berichte ich ein anderes Mal.

Das Pfarrhaus in Střešovice mit der Nummer 2. Schön finde ich auch, daß der Name des Viertels immer mit angegeben ist.

Gewöhnlich werden die Nummern nur einmal vergeben. Wenn also ein Haus abgerissen wird, erhält das neue Haus eine neue Nummer. Es gab oder gibt aber auch Ausnahmen. Das Haus mit der Nummer 1 in unserem Viertel ist beispielsweise neueren Datums. Insofern müssten die Kirchen ja kleine Nummern haben, da sie vielfach alter Baubestand sind. Kirchen haben aber gar keine Nummern. Maria Theresia war sehr gläubig und vielleicht wollte sie die katholische Kirche nicht gegen sich aufbringen und die Kaiserin ging davon aus, daß Kirchen niemals Steuern zahlen würden. Aber die Herrscherin war ja auch schlau. Pfarrhäuser jedenfalls haben Konskriptionsnummern. Dann könnten Pfarrer ja auch Steuern zahlen, oder?

Über das Nummernsystem in Prag gibt es einige Artikel und Informationen im Netz, auf tschechisch und auf deutsch. Einige Artikel kritisieren die roten Nummern als überflüssig und nicht mehr zeitgemäß. Auf den meisten offiziellen Formularen müssen beide Nummern angegeben werden. Außerdem könnten Besucher verwirrt sein und hilflos durch die Prager Straßen irren. Ich gebe gerne zu, daß die Nummern für den Alltag nicht besonders praktisch sind. Aber nicht alles muß sich ja der Nützlichkeit unterwerfen. Die blauen und die roten Nummern gehören für mich zum Stadtbild dazu. Außerdem sind die Schilder, obgleich keine Vorschrift, meist noch in einheitlicher Form und Farbe und sind meist immer gut sichtbar außen am Haus oder an der Grundstücksmauer angebracht. Daher kann man sich immer gut orientieren. In Deutschland ist es in manchen Straßen ja fast unmöglich eine Hausnummer zu finden. Entweder sind sie gut versteckt oder fehlen ganz.

Alte Häuser bei uns im Viertel. Früher eben ein Dorf.

Besonders mag ich es durch die Straßen von Prag zu laufen. Es gibt viele interessante Wohnhäuser aus den unterschiedlichsten Epochen. Anhand der Nummer kann man sie auch oft ganz gut einer Zeit zuordnen und ich stelle mir vor, wie die Straße in früheren Jahren ausgesehen haben mag. In vielen Vierteln gibt es ein paar Straßen und Gassen wo sowohl die Nummern als auch die Häuser niedrig sind. Das sind die alten Dörfer, die von der wachsenden Stadt irgendwann geschluckt wurden. Mit der Zeit entstanden dann neue Straßen mit größeren Stadthäusern. Die roten Nummern bewahren dabei ein Stück der Geschichte. Finde ich sehr interessant.

Zum Abschluß noch zwei Anmerkungen. Da zwei verschiedene Nummernsysteme nicht ausreichen, gibt es in Tschechien auch noch ein drittes mit sogenannten „Evidenznummern“. Diese werden an Gebäuden angebracht, die nicht dauerhaft bewohnt werden, so zum Beispiel an Wochenendhäusern. Weiterhin gab es auch in Deutschland an manchen Orten die Konskriptionsnummern. Als Napoléon das Rheinland im Jahr 1794 eroberte brachte er dabei nicht nur einheitliche Maße, moderne Gesetze sondern auch Hausnummern mit. In der Stadt Köln gab es damit dann ein Haus mit der Nummer 4711. Schon im Jahr 1811 stellte der Magistrat auf die Orientierungsnummern um. Aber die Nummer 4711 ist bis zum heutigen Tag das Markenzeichen für Kölnisch Wasser.

2 Kommentare zu „Über Nummern

  1. sehr interessant Kevin! Muss wieder nach Prag, solange her das letzte Mal… eure Hochzeit eigentlich 😉 LG aus KA, Carmen (in Ferien)

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